Von Schwarz/Weiß zu Kunterbunt

Von Schwarz/Weiß zu Kunterbunt

Wie ich bereits im Artikel über mich kurz beschrieben habe, war mein Weg, insbesondere meine Kindheit, alles andere als leicht für mich.

Wie meine Kindheit mit einer psychisch kranken Mutter war, was ich daraus gelernt habe, wie es mich geprägt hat und wie es für mich von Schwarz/Weiß zu kunterbunt wurde, darüber erzähle ich dir ein wenig mehr in den kommenden Zeilen.

Triggerwarnung (TW) für psychische Erkrankungen, Selbstverletzendes Verhalten und Suizid

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung

Daten und Fakten

„Die Prävalenzrate einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in der Allgemeinbevölkerung liegt bei 1,2 bis 1,8 %. Der Anteil der Borderline Betroffenen bei diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen liegt bei 51 %. (vgl. BOSSHARD U. A. 2013, S. 355) In Deutschland leben schätzungsweise drei Millionen Kinder mit mindestens einem Elternteil zusammen, welcher eine psychische Erkrankung aufweist (vgl. MATTEJAT 2014, S. 74f.). Davon haben etwa 26 % der Eltern eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung (vgl. LENZ 2014, S. 62). Dies lässt den Schluss zu, dass sehr viele Kinder mit Müttern zusammenleben, welche eine unerkannte oder diagnostizierte Borderline-Persönlichkeitsstörung haben.”- Zitiert aus meiner Bachelorarbeit.

Ich bin ebenfalls mit einem psychisch kranken Elternteil aufgewachsen, genauer mit einer Mutter mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Doch was genau ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, kurz BPS?

Begriffsbestimmung

Die BPS wird in der ICD (die internationale Klassifikation zur Diagnostik von Erkrankungen) unter F60.31 geführt. Dort werden Symptome geschildert, welche vorhanden sein müssen um die Erkrankung zu diagnostizieren.

Als Symptom bzw. Erkennungsmerkmal wird unter anderem eine Störung der Affektregulation genannt. Das heißt, Schwierigkeiten darin, Gefühle in angemessenem Rahmen zu regulieren. Stattdessen finden häufige plötzliche Gefühlsausbrüche statt, eine allgemeine schnelle Reizbarkeit. Es kann aber auch zu einer fehlenden Gefühlswahrnehmung kommen. Ein weiteres Indiz ist auf persönlicher Ebene ein sehr unsicheres Selbstbild welches stark von äußeren „Sicherheiten“ abhängig ist (wie z.B. einer Beziehung). Sehr häufig kommt es durch z.B. fehlende Gefühlswahrnehmung oder impulsives Verhalten zu Selbstverletzungen, welche bis hin zum Suizid führen können.

Auch sehr bekannt für die BPS ist das Schwarz/Weiß Denken. Also entweder der Außen ist z.B. gut oder schlecht. Grautöne, gar Farben gibt es nicht. Es fällt den Betroffenen daher häufig schwer, längere Beziehungen zu pflegen.

Jetzt weißt du ein wenig mehr über die BPS. Auch wenn meine Aufzählungen bei weitem nicht die Komplexität des Störungsbildes abbilden können, so sollen sie dir einen kleinen Einblick und Verständnis bieten. Außerdem möchte ich anmerken, dass jeder Mensch anders ist und daher, auch wenn jemand eine diagnostizierte BPS hat, dies nicht bedeutet, dass er all die Symptome aufweisen muss oder nicht auch andere haben kann. Bei einer BPS kommt es außerdem sehr häufig zu sogenannten Komorbiditäten – zeitgleich andere psychische Erkrankungen, welche bei den Betroffenen diagnostiziert werden können.

Meine Erfahrungen

Ich bin also aufgewachsen als Kind einer psychisch kranken Mutter. Das war definitiv nicht immer leicht, letzten Endes hat es aber (Spoiler Alarm) mich zu der gemacht, die ich heute bin. Ohne Abgründe gibt es keine Berge, ohne die schlimmen Erfahrungen die ich sammeln konnte, wüsste ich die Schönheit des Lebens heute nicht wertzuschätzen.

Ich bin aufgewachsen mit viel körperlicher und seelischer Gewalt, mit viel Angst und Trauer und mit dem ständigen Gefühl nicht genug zu sein.

Was lernte ich also, als Kind einer Mutter mit BPS?

Ich habe gelernt:

  • Dass nichts sicher ist, ja dass ich keinem vertrauen kann. Denn die Stimmung kann innerhalb von Sekunden wechseln und gefährlich werden.
  • Dass ich alleine bin, auf mich selbst aufpassen muss, dass ich auch auf meine Geschwister aufpassen muss.
  • Dass ich mich und mein Leben kontrollieren muss, um nicht in Gefahr zu kommen, um nichts falsch zu machen.
  • Dass ich nicht genug bin, dass ich nichts kann und schlecht bin.

Das klingt jetzt erst mal erschreckend negativ für dich, das ist es aber auch.

Doch gleichzeitig hatte ich dadurch die Möglichkeit über mich hinauszuwachsen.

Früh schon habe ich gemerkt, dass ich wahnsinnig gerne mit Kindern arbeite. So habe ich zunächst die Erzieher*innenausbildung gemacht und später Soziale Arbeit studiert, um noch mehr Möglichkeiten zu haben.

Die Folgen

Durch das Studium und die Inhalte, die darin vermittelt wurden, hatte ich das erste Mal so richtig Kontakt zur Psychologie. Schon immer hat mich das Thema sehr fasziniert und begleitet. Ich glaube auch daher habe ich begonnen, mich näher mit dem Thema zu beschäftigen und auch mit dem Thema der positiven Psychologie. So durfte ich nach und nach immer mehr für meinen Beruf aber auch für mich persönlich lernen.

Heute arbeite ich im Jugendamt. Einer Institution von der ich mir als Kind immer Hilfe gewünscht hätte. Aus der Intention heraus in meinem Fremdpraktikum mal zu schauen, ob „das Jugendamt“ tatsächlich so schlimm ist, wie ich es mir dachte, wurde mein Beruf und ja, ich kann fast sagen, meine Berufung.

Heute arbeite ich im Jugendamt und versuche anderen Kindern das Verständnis entgegenzubringen, das mir damals gefehlt hat. Heute versuche ich meine Erfahrungen im positiven Sinn zu nutzen, um anderen zu helfen.

Was habe ich also für mein Leben gelernt?

Daher möchte ich die Liste von oben noch ergänzen bzw. verbessern. Natürlich darf ich weiter mit einigen tiefsitzenden Glaubenssätzen arbeiten um sie in Liebe auflösen zu können, aber ich glaube ohne meine Erfahrungen mit einer psychisch kranken Mutter, hätte ich all das nicht gelernt.

Ich habe also außerdem gelernt:

  • Dass ich stärker bin, als ich glaube.
  • Dass ich alles erreichen kann, was ich möchte.
  • Dass negative Erfahrungen immer einen positiven Sinn haben, der mich wachsen lässt.
  • Dass ich anderen mit meinen Erfahrungen helfen kann.
  • Dass ich stolz sein kann auf die, die ich geworden bin.
  • Dass ich vergeben darf – für mich, um mich zu retten und zu erleichtern.

Du fragst dich jetzt eventuell, wann das alles begonnen hat. Leider kann ich das gar nicht so genau sagen. Ich weiß, ich bin durch die Erfahrungen gewachsen. Durch meine Ausbildung und mein Studium habe ich viele theoretische Hintergründe erfahren, auch über mich persönlich aber auch zur Erkrankung meiner Mutter. So war und ist alles eher ein Schrittweise Prozess hin zu mehr Wissen, mehr Achtsamkeit und mehr Selbstliebe.

Ich kann dir aber auf jeden Fall empfehlen immer hinzuschauen. Da wo es schmerzt, da wo es hakt, da wo es nicht klappt. Genau da dürfen wir hinschauen, hin-fühlen und herausfinden was es ist, das uns zurückhält und dann kann es (in Liebe) heilen.

Quintessenz

Wie du also siehst, ist es natürlich nicht so, dass ich sagen kann, meine Kindheit war super schön. Aber eventuell war sie die Beste, die mir passieren konnte?

Was ich mit Sicherheit weiß ist, dass es das Leben gut mit mir meint und ich mir dieses Leben, diese Erfahrungen ausgesucht habe um mein Licht sehen zu können. Denn je dunkler es ist, umso heller strahlt das Licht.

Ich bin auf jeden Fall unendlich dankbar, für meine Familie, die mich durch die Zeit begleitet hat, für meinen Freund, der zusammen mit mir wächst und wir so beide heilen dürfen und für meine Geschwister, die einfach da waren und für die ich die Stärke gebraucht habe, die mich heute zu der macht, die ich bin.

Ich kann also klar sagen, ich habe meine Kindheit überlebt und bin durch sie gewachsen. Von Schwarz/Weiß durfte also auch ich lernen in kunterbunten Farben zu sehen und zu denken.

Wenn du Lust hast, ein wenig mehr zu den Hintergründen, Risiko- und Schutzfaktoren von Kindern von Müttern mit BPS zu lesen, habe ich dir meine Bachelorarbeit verlinkt, dann kannst du sie dir gerne durchlesen.

Ansonsten hoffe ich, dass du einen schönen Tag hast und ich dich eventuell inspirieren konnte auch in deinem Leben zu schauen, welche dunklen Erfahrungen dein Licht zum Strahlen gebracht haben.

Wenn du mich etwas fragen möchtest, Anregungen hast o.ä. Kannst du mir gerne unter @ronja_kunterbunt schreiben.

Alles Liebe,
Ronja

Quellen:

BOSSHARD, Marianne u.a. 2013: Soziale Arbeit in der Psychiatrie. [Lehrbuch]. Köln: Psychiatrie-Verl., 5., überarb. Aufl.

MATTEJAT, Fritz 2014: Kinder mit psychisch kranken Eltern. Was wir wissen und was zu tun ist. In: MATTEJAT, Fritz/LISOFSKY, Beate (Hrsg.): Nicht von schlechten Eltern. Kinder psychisch Kranker. (BALANCE Ratgeber). Köln: BALANCE Buch + Medien Verlag, 4., korrigierte und ergänzte Auflage, S. 68–95.

LENZ, Albert 2014: Kinder psychisch kranker Eltern. Göttingen u. a.: Hogrefe, 2., vollst. überarb. und erw. Aufl.



5 thoughts on “Von Schwarz/Weiß zu Kunterbunt”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert