Hilfe! Meine Mama hat Borderline, Teil 1
„Die Kinder von Borderline-Müttern stehen unter dem Fluch des Dunkels, das im Inneren
(LAWSON/KÖSTLIN 2015, S. 29)
ihrer Mütter herrscht und das die anderen oft erst erkennen, wenn es zu spät ist.“
Warum?
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist weit verbreitet, ca. 1,6 % der Gesamtbevölkerung ist betroffen. Diagnostiziert wird die BPS am häufigsten bei Frauen, die Verteilung ist ca. 75 % zu 25 % Männern. Daher kann angenommen werden, dass es sehr viele Kinder gibt, die mit Eltern mit einer BPS zusammenleben.
Aus meiner Arbeit beim Sozialen Dienst, aber auch aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen, mit einer Mutter mit BPS, habe ich schon einige Eindrücke sammeln können. Ich möchte in diesem Artikel daher näher auf bestimmte Typen von Müttern mit BPS eingehen.
Da es mir immer sehr geholfen hat zu verstehen, weswegen meine Mutter welches Verhalten zeigt, wird dieser Artikel hauptsächlich um Verhaltensweisen und Hintergründe gehen. Die nächsten Artikel werden die generellen Herausforderungen, aber auch die Schutzfaktoren thematisieren, also die Aspekte, die Kindern in solchen Familien helfen können.
Da hauptsächlich Frauen mit BPS diagnostiziert werden und auch in der heutigen Zeit noch die meiste Zeit mit Kindern Zuhause verbringen, spreche ich in diesem Artikel von Müttern mit BPS. Damit sind natürlich aber auch Väter oder non-binäre Eltern gemeint, die eine BPS haben.
Verschiedene Typen von Müttern mit BPS
Lawson (2015) hat verschiedene Typen von Müttern mit BPS herausgearbeitet. Häufig kann man sagen, zu welchem Typ jemand hauptsächlich zählt. Insgesamt ist jeder Mensch aber individuell und hat daher auch Anteile von jedem Typ in sich. Auch “gesunde” Menschen haben Anteile der Typen in sich.
Das verwahrloste Kind
Das Verhalten der Mutter vom Typ “verwahrlostes Kind” ist hauptsächlich durch Hilflosigkeit geprägt. Dies ruft bei anderen Fürsorge und Mitgefühl hervor. Sie beklagt sich ständig, kann angebotene Hilfe jedoch nicht annehmen. Die Botschaft an die Kinder ist – Das Leben ist schwer! Durch die Erfahrung, selbst Opfer zu sein, helfen Mütter dieses Typs gerne anderen.
Mütter von Typ des verwahrlosten Kindes wollen unter keinen Umständen abhängig sein, brauchen jedoch gleichzeitig die Anerkennung von Außen. Dadurch haben sie große Angst vor Ablehnung und Zurückweisung.
Sie nehmen negative Gefühle deutlicher wahr als positive, weswegen sie zu Depression und sozialem Rückzug neigen. Sie führen meist instabile Beziehungen und arbeiten häufig in helfenden Berufen.
Da die Mütter eher passiv und hilflos sind, führt dies bei Kindern dazu, dass sie nicht in ihre Mutter vertrauen können und auf sich selbst gestellt sind. Die Mutter schwankt hier häufig zwischen Verwöhnen und Vernachlässigen.
Als positive Eigenschaft von Müttern des Typs “das verwahrloste Kind” kann benannt werden, dass sie sehr hilfsbereit ist, wodurch auch die Kinder lernen, dass Hilfsbereitschaft wichtig ist, um sich selbst zu helfen. Die Mütter können außerdem sehr liebevoll mit den Kindern sein.
Auswirkungen auf die Kinder
Kinder fühlen sich von diesen Müttern häufig eingeengt und haben Schwierigkeiten, gute Beziehungen zu anderen Erwachsenen aufzubauen. Die Kinder können, ebenso wie die Mutter, Hoffnungslosigkeit und Unzulänglichkeit fühlen. Stimmungsschwankungen werden bald nicht mehr ernst genommen und eher heruntergespielt.
Sie fühlen sich, als ob sie der Mutter nicht gerecht werden können. Kinder von Müttern dieses Typs handeln dann eher wie Erwachsene, achten weniger auf eigene Bedürfnisse und mehr auf die der Mütter. Es kann sich aber auch eine Wut gegenüber der Mutter entwickeln.
Wenn die Mutter passiv, depressiv ist und sich wenig um die Kinder kümmert, kann es zu Unfällen Zuhause kommen, bei denen sich die Kinder selbst gefährden.
Die Einsiedlerin
Die Einsiedlerin ist hauptsächlich durch Angst geprägt. Andere empfinden daher im Umgang mit ihr ebenfalls Angst oder Fürsorge. Die Einsiedlerin hat große Angst, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und zu vertrauen, da sie nicht verletzt werden möchte. Die Botschaft an die Kinder ist – die Welt ist gefährlich.
Mütter von diesem Typ wirken verschlossen. Sie definieren ihr Selbstbild durch das Außen (Arbeit, Hobbies, …). Auch Einsiedlerinnen führen eher instabile Beziehungen aufgrund ihrer Eifersucht. Sie arbeiten häufig in intellektuellen oder kreativen Berufen.
Einsiedlerinnen sind kontrollierend und besitzergreifend. Die Beziehung zu den Kindern kann symbiotisch sein, das heißt stark voneinander abhängig. Wenn die Einsiedlerin sich ein “gutes Kind” aussucht, wird dieses überbehütet, ein “schlechtes Kind” dagegen herabgesetzt. Die Mutter kümmert sich häufig nur um die Kinder, ihr Leben dreht sich darum. Dabei hindert sie die Kinder daran, selbst zu entdecken und selbstständig zu werden.
Als positive Eigenschaft einer Einsiedlerin kann benannt werden, dass sie ihren Alltag meist sehr gut strukturiert bekommt. So lernen Kinder, wie ein funktionierender Tagesablauf sein kann. Da ihr die Außenwirkung sehr wichtig ist, ist ihr auch die Leistung der Kinder wichtig. Das kann dazu führen, dass Kinder von Einsiedlerinnen gut in Schule und Beruf sind.
Auswirkungen auf die Kinder
Kinder von diesen Müttern können wie gelähmt sein, das eigene Selbstvertrauen ist durch die Botschaft der Mutter untergraben. Sie können nur schwer lernen, selbstständig zu sein.
Für Kinder von Einsiedlerinnen ist Angst Normalzustand, sie haben Angst ohne zu wissen wovor. Dies kann dazu führen, dass sie eigene Signale des Körpers (wie Schmerzen) nicht mehr wahrnehmen. Kinder fühlen sich entweder sehr verantwortlich für die Mutter, bis ins Erwachsenenalter, oder rebellieren gegen sie.
Die Königin
Die Königin fühlt sich aufgrund von Erfahrungen des Mangels leer. Sie schüchtert andere ein und versucht aufzufallen. Ihre Botschaft an die Kinder ist – alles dreht sich um mich. Königinnen haben eine niedrige Frustrationstoleranz, was bedeutet, dass sie impulsiv denken und handeln. Dies kann sich sowohl nach Außen, aber auch nach Innen richten. Daher verletzen Königinnen entweder sich selbst (durch Drogen, Selbstverletzendes Verhalten, …) oder ihre Umwelt.
Königinnen treten in Gesellschaft angeberisch, dramatisch auf. Sie agieren eher wie in einem Spiel und sehen andere als Spielfiguren an, mit denen sie machen, können was sie wollen. Nach Außen können Königinnen positiv auftreten und ein gutes Bild von sich selbst hinterlassen. Sie unterdrücken damit das eigene Gefühl von Leere. Sie führen meist oberflächliche Beziehungen und beenden diese schnell bzw. beginnen einen Kampf, sobald sie das Gefühl haben, dass diese Person nicht mehr auf ihrer Seite steht.
Königinnen erwarten, dass ihre Kinder so funktionieren, wie sie es von ihnen erwarten. Sie nutzen die Kinder auch, um von anderen Anerkennung und Lob zu bekommen. Königinnen können dabei die Kinder nicht so sehen, wie sie wirklich sind. Häufig reagieren sie hysterisch, impulsiv, was sie für die Kinder als nicht einschätzbar macht.
Mütter dieses Typs legen viel Wert auf die Außenwirkung und ihr Äußeres. Dadurch fallen sie auf und werden gemocht. Für Kinder kann dies teilweise förderlich sein, da sie so gut vernetzt sind. Königinnen würden daher auch alles machen, um ihre Kinder gut dastehen zu lassen. So kümmern sie sich gut um die Versorgung der Kinder und darum, dass sie eine gute Bildung erfahren.
Auswirkungen auf die Kinder
Kinder von Königinnen fühlen sich manipuliert und missbraucht. Durch das impulsive Verhalten der Mutter leben sie in ständiger Angst. Gleichzeitig lernen sie, sich von der Hysterie nicht anstecken zu lassen, ohne dabei zu wissen, was wahr ist. Auch hier kann es daher dazu kommen, dass sie wahre körperliche Symptome nicht mehr richtig einschätzen können. Kinder von Königinnen schämen sich außerdem häufig für das habgierige Verhalten der Mutter. Sie müssen stark kämpfen, um selbstständig werden zu können. Jüngere Kinder versuchen, die Aufmerksamkeit der Mutter zu erlangen, ältere dagegen rebellieren eher gegen sie (auch das ist – negative – Aufmerksamkeit!).
Die Hexe
Bei der Hexe ist die Wut das vorherrschende Gefühl. Sie hat in ihrer eigenen Geschichte die Erfahrung gemacht das sie böse ist und lebt diesen Glaubenssatz. Bei anderen führt ihr Verhalten daher zu Unterwerfung. Sie zeigt klar, dass wer nicht für sie ist, gegen sie ist. Ihre Botschaft an die KInder ist – das Leben ist Krieg.
Mütter dieses Typs müssen Macht und Kontrolle spüren, um entspannen zu können. Sie erkennen sehr schnell die Schwachpunkte ihres Umfelds und nutzen diese für eigene Zwecke. Wenn sie ein Opfer für die eigene Wut gefunden haben, suchen sie sich Verbündete, denen die Version der Hexe dann auch glaubhaft erscheint.
Mütter vom Typ der Hexe wollen vollständig kontrollieren. Hierfür nutzen sie psychische, aber auch physische Misshandlung und auch Missbrauch. Wenn Kinder sich der Kontrolle entziehen, löst das bei ihnen Überlebensangst aus. Es kann auch dazu kommen, dass sie den Kindern das entziehen, was sie brauchen. Von Liebe über Nahrung kann dies bis hin zur medizinischen Behandlung gehen.
Auch bei Hexen gibt es eine positive Seite zu erkennen, sie kämpfen auch für ihre Kinder, was diesen wiederum ein Gefühl von Wert vermittelt.
Auswirkungen auf die Kinder
Kinder von der Hexe leben häufig ihr Leben lang mit einer Angst. Sie können genau einschätzen, wann die Mutter sich in die Hexe “verwandelt”. Gleichzeitig bleibt die Mutter unberechenbar und die Kinder ohnmächtig. Die Kinder verstehen meistens nicht, dass die Mutter nur so eine Beziehung zu ihnen führen kann, wie sie sie selbst erlebt hat. Außerdem, dass die Existenz der Kinder manchmal eine Bedrohung für die eigene Existenz der Mutter sein kann.
Wenn die Hexe ein Kind als “gut” ansieht, kann es sein, dass das Kind die Mutter gar nicht als Hexe wahrnimmt. Sie zeigt ihre zerstörerischen Verhaltensweisen nur gegenüber der “schlechten” Kinder. “gute Kinder” stehen dagegen in Gefahr, von der Mutter eingenommen zu werden und können damit nicht selbstständig werden.
Schwierig ist hier meist, dass die Mutter nur zur Hexe wird, wenn sie mit den Kindern alleine ist. So haben die Kinder immer das Gefühl, es würde ihnen sowieso keiner glauben, wenn sie es erzählen würden. Aufgrund der erlebten Unberechenbarkeit Zuhause sind Kinder auch in anderen Situationen immer auf Hab-Acht-Stellung.
Kinder versuchen immer eine Erklärung für das Verhalten der Eltern zu finden. Diese Erklärung finden sie jedoch leider meistens in sich selbst, da die Eltern schon wegen der Evolution, immer gut sein müssen. Die Kinder müssen sich schließlich auf die Versorgung durch die Eltern verlassen. Daher suchen auch Kinder von Hexen die Quelle des Verhaltens der Mutter bei sich selbst. Manche Kinder wehren sich gegen die Ausbrüche der Mutter. Jedoch verletzen sich Kinder von Müttern dieses Typs häufiger selbst. Viele Kinder überleben ihre Kindheit, weil sie gelernt haben, sich unsichtbar zu machen, keine Gefühle zu zeigen oder dauerhaft zu kämpfen.
Zusammenfassung
Warum ist es also wichtig, für Kinder das Verhalten der Eltern einordnen zu können?
Ich habe persönlich, aber auch in meiner Arbeit die Erfahrung gemacht, dass eine Erklärung alles verändern kann. Sie kann deutlich machen, weswegen die Situation ist wie sie ist. Sie kann zeigen, dass man nicht alleine ist, Mitgefühl hervorrufen und die Situation erträglicher machen.
Ich habe daher die Einteilung in die verschiedenen Typen der Mütter mit BPS als sehr hilfreich empfunden.
- Das verwahrloste Kind
- Die Einsiedlerin
- Die Königin
- Die Hexe
Wenn du nun die Typen gelesen hast, hast du bestimmt schon ein Gefühl zu diesen bekommen. Wenn du selbst betroffen bist, kannst du eventuell sogar relativ schnell und klar sagen, wo du deine Mutter oder dein Vater sehen würdest.
Da wie gesagt mir eine Erklärung immer geholfen hat, mit der Situation klarzukommen, finde ich auch die Einordnung sehr wichtig. Später komme ich wieder darauf und dann wirst du auch verstehen, weswegen dir das helfen kann.
Für heute lasse ich es allerdings dabei,
Ich hoffe, du kannst all die Infos gut verarbeiten. Wenn du Fragen hast schreib mir gerne in die Kommentare.
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