Hilfe! Meine Mama hat Borderline, Teil 4
In diesem Teil dieser Reihe möchte ich dir die Risiko- aber auch die Schutzfaktoren bei Kindern von Müttern mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) näher bringen und dir damit zeigen, dass auch hier nicht nur schwarz und weiß, sondern eben kunterbunte Töne zwischen den Zeilen bestehen.
Risikofaktoren
Definition
Risikofaktoren sind risikoerhöhende Bedingungen oder Belastungen. Sie ergeben sich aus inneren und äußeren Faktoren.
Die inneren Faktoren können dabei genetische Bedingungen, aber auch Persönlichkeitseigenschaften sein.
Äußere Faktoren sind dagegen die direkte Umwelt und dadurch eine erhöhte Vulnerabilität (Verletzlichkeit).
Risikofaktoren bei Kindern von Müttern mit BPS
Die psychische Erkrankung von Elternteilen alleine ist bereits ein Risikofaktor für Kinder. 60 % der Kinder entwickeln in der Kindheit selbst psychische Auffälligkeiten. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Kinder von Müttern mit BPS eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, selbst eine BPS oder andere psychische Erkrankungen zu entwickeln.
Auch ist ein schlechterer Gesundheitszustand bei den Kindern festgestellt worden. Sie hatten häufiger Angst, Depression, Verhaltensproblemen oder ADHS als Kinder aus den Vergleichsgruppen.
Wenn die Mutter dabei eine BPS in Kombination mit anderen psychischen Erkrankungen hat, ist das Risiko nochmal erhöht. Außerdem ist der Zeitraum, in dem Kinder einer unbehandelten psychischen Erkrankung ausgesetzt sind, ausschlaggebend für die Entwicklung.
Bei Kindern von Müttern mit BPS kommt zudem hinzu, dass diese häufig in niedrigeren sozioökonomischen Verhältnissen (beengte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, …) leben, häufig Bezugspersonen verlieren, Misshandlung sowie Trennung oder Scheidung erleben. Häufige Schulwechsel, Wohnortwechsel, aber auch Partnerwechsel der Mütter, können die Kinder daher zusätzlich belasten.
Ebenso sind Suizidversuche der Mütter und stationäre Aufenthalte als Risikofaktoren für die Kinder anzusehen.
Die verschiedenen Typen:
Kinder von Müttern des Typs “das verwahrloste Kind” haben daher besonders folgende Risikofaktoren:
- Niedriger sozioökonomischer Status
- Wechselnde Partner der Mutter
- Gefährdende Situationen im Haushalt durch geistige Abwesenheit der Mutter
- Fehlende äußere Bezugspersonen
Kinder von “Einsiedlerinnen” sind es diese Risikofaktoren:
- Wechselnde Lebensräume
- Niedriger sozioökonomischer Status
- Wechselnde Partner der Mutter
- Gefährdende Situationen im Haushalt durch geistige Abwesenheit der Mutter
- Fehlende äußere Bezugspersonen
Bei Müttern des Typs “die Königin” sind folgende Risikofaktoren besonders hervorzuheben:
- Misshandlung
- Wechselnde Lebensräume
- Wechselnde Partner der Mutter
- Gefährdende Situationen im Haushalt durch Überschätzung der Mutter
- Fehlende äußere Bezugspersonen
Bei “Hexen” sind es diese Risikofaktoren:
- Trennung/Scheidung der Eltern mit Rechtsstreit
- Fehlende äußere Bezugspersonen
- Misshandlung
- Wechselnde Lebensräume
- Wechselnde Partner der Mutter
Da die meisten Mütter nicht klar einem Typ zugeordnet werden können und auch Menschen ohne psychische Erkrankung Anteile der Typen in sich haben, sind die Grenzen hierbei nicht klar zu ziehen.
Schutzfaktoren
Definition
Trotz vorhandener Belastungen entwickeln nicht alle Kinder selbst eine psychische Störung. Das liegt an den Schutzfaktoren, die jedes Kind individuell hat.
Diese lassen sich auch als risikoreduzierende Bedingungen oder Ressourcen bezeichnen. Auch hier gibt es wieder kindbezogene und umgebungsbezogene Faktoren.
Durch eine Wechselwirkung der beiden Faktoren entwickeln Kinder eine sogenannte Resilienz. Dies ist die Widerstandsfähigkeit, belastende Lebenssituationen zu bewältigen.
Schutzfaktoren können Risikofaktoren vermindern oder sogar aufheben.
Bei Mädchen scheinen die inneren Schutzaktoren wichtiger zu sein als die äußeren. Bei Jungs dagegen eher die sozialen als die inneren Schutzfaktoren.
Bis heute gibt es leider keine verlässlichen Studien zu Schutzfaktoren bei Kindern von Eltern mit einer psychischen Erkrankung. Es schien immer wichtiger, die Gefahren aufzuzeigen als die Möglichkeiten. Daher werde ich im Folgenden auf eigene Erfahrungen und auf Erkenntnisse aus verschiedener Literatur eingehen.
Persönliche Schutzfaktoren
Generell gelten:
- ein positives Selbstwertgefühl
- ein starkes Gefühl, die Umwelt und das Leben zu kontrollieren,
- eine geringe Hilflosigkeit,
- eine hohe Sozialkompetenz,
- eine optimistische Lebenseinstellung,
- eine hohe Kreativität,
- ein gutes Einfühlungsvermögen,
- viele Interessen und
- gute kognitive Funktionen
- ein ausgeglichenes Temperament
- gute Selbsthilfefähigkeiten
als personelle Schutzfaktoren.
Förderlich sind außerdem:
- robustes, kontaktfreudiges Temperament
- überdurchschnittliche Intelligenz
- hohe Erwartung der Selbstwirksamkeit
als förderliche Faktoren.
Kinder, die ausgeglichen temperamentvoll sind, können sich anpassen und verhalten sich generell kontaktfreudiger und fröhlicher. Wenn sie das Gefühl haben, sich selbst helfen zu können, verhalten sie sich selbstständiger und suchen nach Lösungen. Hierdurch können sie auch anderen helfen, was wiederum ihre eigene Selbstwirksamkeit stärken. Häufig können sie daher Situationen schnell annehmen und Lösungen finden.
Kinder mit einer guten Resilienz können gut kommunizieren und haben ein positives Selbstwertgefühl. Dadurch können sie ihre Gefühle besser mitteilen und gleichzeitig die Signale von anderen besser deuten. Hierdurch ist es ihnen möglich, ihr Verhalten der Situation anzupassen.
Durch ein positives Selbstwertgefühl können die Kinder Selbstvertrauen entwickeln. Hierdurch können sie schwierige Situationen als Herausforderung und nicht als Überforderung sehen. Zudem können sie sich dann auch stärker gegenüber Anderen verhalten und ihre Meinung vertreten.
Im Jugendalter kann die starke soziale Kompetenz und ein positives Selbstkonzept sehr förderlich sein. Jugendliche können so mit anderen empathisch umgehen und sich selbst realistische Ziele setzen.
Kinder von Müttern mit BPS
Bei Kinder von Müttern mit BPS kann jeder dieser internen Schutzfaktoren vorhanden sein.
Um ein positives Selbstkonzept zu haben bzw. zu entwickeln ist es vermutlich jedoch für die Kinder wichtig, außer der Mutter noch andere konstante Bezugspersonen zu haben. Diese können auch hilfreich sein beim Aufbau von sozialen Kompetenzen, da sie ein anderes Bild von Kommunikation und sozialer Interaktion vermitteln.
Es ist anzunehmen, dass die Kinder aus der Not heraus Selbsthilfefähigkeiten entwickeln. Besonders Kinder vom Typ “verwahrlostes Kind” sind früh auf sich alleine gestellt und können so, früher als andere Kinder, Problemlösefähigkeiten erlernen.
Kinder von Müttern mit BPS sind häufig besonders empathisch, da sie schon immer die Stimmung der Mutter ergründet haben. Dies führt dazu, dass sie sich besonders gut in andere hineinversetzen können und sehr feinfühlig zu den Gefühlslagen von anderen sind.
In einer sehr kleinen Studie konnte bei Erwachsenen Kindern von Müttern mit BPS festgestellt werden, dass diese besonders kompromissfähig, verantwortungsbewusst, geduldig, zuverlässig, hilfsbereit, loyal, ziel- & ergebnisorientiert, aufmerksam, kreativ und improvisationsfähig sind.
Familiäre Schutzfaktoren
Generell kann die Familie sowohl Schutz- als auch Risikofaktor sein.
Ein positives, stabiles und emotional warmes Familienklima gilt als Schutzfaktor. Eine positive Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson ist hierbei ausschlaggebend. Diese Beziehung besteht dauerhaft und ist eine sichere Bindung.
Kinder können darauf aufbauend Bindungsstrategien entwickeln, die effektiv sind. Außerdem können sie ihre eigenen Fähigkeiten gut einschätzen und sich altersgemäß von der Familie ablösen.
Eltern, Großeltern, Geschwister und nahe Verwandte können solche Bezugspersonen sein. Großfamilien können hier auch kompensatorisch wirken.
Es wird angenommen, dass es für Kinder wichtig ist, sich validiert und angenommen zu fühlen. Validiert meint hier, dass ihre Gefühle und Bedürfnisse angenommen werden. Hierfür brauchen sie Bezugspersonen, bei denen sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen können, ohne verurteilt zu werden.
Ein Erziehungsklima, das an Selbstständigkeit und Offenheit orientiert ist und in dem es wenig elterliche Konflikte gibt, ist ebenfalls ein Schutzfaktor. Das zeigt sich durch gemeinsame Unternehmungen, klare Regeln und Strukturen und Offenheit in der Familie. Diese bezieht sich auch auf die elterliche Erkrankung, über die Kinder altersgemäß informiert sein sollten. Zudem ist es wichtig, dass die Rolle der Eltern klar auch bei diesen liegt. Auch eine positive Paarbeziehung der Eltern ein Schutzfaktor, da sie den Kindern Sicherheit und Geborgenheit vermitteln kann.
Kinder von Müttern mit BPS
Deutlich wird, dass in der Familie der Elternteil ohne psychische Erkrankung – der Vater z.B. – eine große Bedeutung hat. Hierbei ist es wichtig, dass dieser sich von den Verhaltensweisen der Mutter klar abgrenzt, sich seiner Rolle bewusst ist und den Kindern eine sichere und verlässliche Bindung anbietet.
Ein offener Umgang mit den Kindern hat eine besondere Bedeutung. Es ist sowohl wichtig, den Kindern altersgerecht zu erklären, weswegen die Mutter agiert, wie sie agiert, als auch, dass die Kinder offen sagen und zeigen können, was in ihnen vorgeht.
Ein wichtiger Aspekt der Bezugspersonen ist es außerdem, dass den Kindern geglaubt wird, was sie sagen. Da die Mütter ihre destruktiven Verhaltensweisen häufig nur zeigen, wenn sie mit den Kindern alleine sind, brauchen die Kinder außerhalb Bezugspersonen, die ihnen Glauben schenken.
Da es für alle Typen der Mütter wichtig ist, die Kontrolle zu behalten, ist davon auszugehen, dass in den Familien Regeln und Grenzen bestehen.
Trotz der BPS wurden Mütter in der kleinen Studie als wichtige Bezugsperson benannt. Sie wurden teilweise als positiv, liebevoll und verständnisvoll bezeichnet. Wenn die Eltern sich nicht trennen und Geschwister vorhanden sind, kann auch das als Schutzfaktor bezeichnet werden.
Außer anderen Bezugspersonen wie den Eltern, Großeltern und Geschwistern wurden von den Befragten auch bestimmte Gegenstände (Schmuse Tiere, Fantasien, Träume), aber auch Haustiere als wichtige Quellen für Trost und Beistand benannt.
Soziale Schutzfaktoren
Positive Sozialkontakte, gute Beziehungen und soziale Unterstützung gelten als soziale Schutzfaktoren.
Kinder brauchen die Möglichkeit, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Hierfür ist die Erlaubnis der Eltern hierzu jedoch wichtig. Besonders, wenn es Zuhause schwierig ist, sind solche außenstehenden Bezugspersonen wichtig. Die Eltern sind dann häufig mit sich selbst beschäftigt und haben weniger die Möglichkeit, den Kindern die nötige Geborgenheit und Liebe zu geben, was von einer anderen Bezugsperson dann übernommen werden kann. Außerdem können Kinder hier andere Lebenskonzepte und Lösungsstrategien lernen.
Auch Gleichaltrige und Freunde sind für Kinder sehr wichtig. Hier können sie Spaß, Ungezwungenheit, Normalität und Ablenkung erleben. Auch hier lernen Kinder wichtige soziale Kompetenzen wie Lösungsstrategien und andere Handlungsmuster.
Kinder von Müttern mit BPS
Auch für diese Kinder sind außenstehende Bezugspersonen sehr wichtig. Sie können, insbesondere in akuten Phasen der Erkrankung, die Kinder auffangen und Sicherheit bieten. Die Kinder können hier Offenheit und Normalität erfahren.
Wichtig ist es, dass die Eltern den Kindern den Kontakt nach Außen erlauben. Wenn die Mutter das, aufgrund der BPS nicht kann, dann ist das die Aufgabe des Vaters.
Umweltbezogene Schutzfaktoren
Diese Schutzfaktoren ergeben sich aus positiven Schulerfahrungen, wenig kritischen Lebensereignissen und sozialer Förderung z.B. in der Schule, der Kirche oder einer Jugendgruppe.
Besuchen Kinder die Schule gerne, dann können sie hier Anerkennung, Zuwendung und Bestätigung erhalten. Sie können sich dort ein Netzwerk an Freunden aufbauen (siehe soziale Schutzfaktoren).
Freizeitvereine und Jugendgruppen haben den gleichen Effekt. Dabei sind die Inhalte der Institution nicht so wichtig, wie die Stützfunktion, die diese den Kindern bietet.
Kinder von Müttern mit BPS
Der Kindergarten, die Schule und auch Freizeiteinrichtungen und -angebote können auch bei Kindern von Müttern mit BPS als Schutzfaktor gesehen werden.
In der kleinen Studie konnte zudem festgestellt werden, dass eine psychotherapeutische Behandlung für die Kinder als besonders positiv empfunden wurde. Auch die Schule wurde eher positiv erfahren und es wurden eher gute Schulabschlüsse erreicht. Auch in ihrem Beruf waren die Befragten erfolgreich.
Zusammenfassung
Wie ich versucht habe dir in dieser Reihe von Artikeln zu zeigen, haben es Kinder von Müttern mit BPS mit erschwerten Bedingungen zu tun. Es gibt einige Risikofaktoren, die zu einer negativen Entwicklung führen können. Gleichzeitig gibt es persönliche, aber auch umweltbezogene Schutzfaktoren, welche die Kinder stärken können. Ein gutes Zusammenspiel der beiden Faktoren ist wichtig für eine gute, altersgerechte und positive Entwicklung der Kinder.
Daher können sich Kinder von Müttern mit BPS gut entwickeln und eine gesunde, fördernde Kindheit erleben. Hierfür ist es wichtig, die individuellen Risikofaktoren herauszuarbeiten und an diesen zu arbeiten. Gleichzeitig dürfen die Ressourcen des Kindes und seiner Umwelt hierbei nicht aus dem Blick geraten, sondern sollten im Fokus bleiben. Denn durch diese wird die gesunde Entwicklung erst möglich und diese dürfen gestärkt und unterstützt werden.
Diese Informationen habe ich hauptsächlich aus meiner Bachelorarbeit herausgearbeitet. Wenn du
Ich hoffe sehr, ich konnte dir als Betroffene*r, Interessierte*r oder Professionelle*r, welche*r mit Familien zu tun hat, in denen ein Elternteil BPS hat, neue Sichtweisen mitgeben.
Falls du noch Fragen oder Anregungen hast, kannst du mir gerne per Mail oder in die Kommentare schreiben. Ich freue mich über dein Feedback!